Der Migrant mit Cape
Superman (2025) als Spiegel autoritärer Gegenwart, liberaler Begrenztheit und ästhetischer Hoffnung
Normalerweise interessieren mich Blockbuster nicht sonderlich, doch gestern sah ich den neuen Superman. Der Film ist nicht nur technisch auf höchstem Niveau, sondern bietet auch Inhaltlich einiges. Und wenn die MAGA-Basis den Film zu "woke" findet, dann hat das gute Gründe. Doch es geht noch um viel mehr - lest selbst.
Von Sascha Schlenzig
Vom Helden zum Illegalen
Er kommt vom Himmel – und stürzt in den Schnee. Blut färbt das Eis. Kein Prolog, kein Pathos. Nur Stille und Verwundbarkeit. So beginnt James Gunns Superman (2025) – und genau darin liegt seine Sprengkraft: Superman ist nicht länger der unverwundbare Übermensch. Er ist der Geflüchtete. Der Andere. Ein Migrant.
Diese Perspektive ist keine beiläufige Modernisierung, sondern eine gezielte politische Umcodierung: Kal-El ist heimatlos, entwurzelt, ein Kind der Zerstörung. Und in einer Gesellschaft, die das Fremde zum Feind erklärt, ist selbst der Retter verdächtig. Gunns Superman wird nicht geliebt – er wird überwacht. Nicht bejubelt – sondern verhaftet. Ohne Widerstand. Mit Gewalt.
Der CEO als Feindbild – Lex Luthor reloaded
Supermans Gegenspieler ist nicht irgendein Wahnsinniger. Er ist ein CEO. Ein medialer Machttechnokrat mit Musk-Körper, Trump-Rhetorik und Deep-State-Phantasien. Lex Luthor – brilliant gespielt von Nicholas Hoult – ist kein klassischer Superschurke, sondern das Symbol einer ökonomisch-politischen Klasse, die alles besitzt und alles fürchtet.
Er sieht in Superman keine Bedrohung, sondern einen Kontrollverlust. Superman entzieht sich der kapitalistischen Einhegung. Er ist nicht käuflich, nicht steuerbar, nicht berechenbar. Genau das macht ihn für Luthor – und das System – gefährlich.
Was Gunn hier andeutet, ist eine leise, aber spürbare Systemkritik: Die wirkliche Macht liegt nicht bei denen mit Superkräften, sondern bei denen mit Daten, Drohnen, Disziplinierungsapparaten. Luthor steht für das Bündnis aus Tech-Kapital, Medienmacht und Sicherheitsstaat – das längst Realität ist.
Die Bühne der Repression
Wenn Superman abgeführt wird – öffentlich, vor Kameras, mit brutaler Härte – ist das keine Comic-Fantasie. Es ist ein Spiegel. Von Ferguson bis Gaza, von der Balkanroute bis Lampedusa: Der Verdacht reicht aus. Der Körper des Anderen wird Zielscheibe. Der Film zeigt: Es braucht keine Schuld – nur Herkunft.
Diese Szene ist kein Nebenmotiv. Sie ist zentral. Denn sie zeigt die Grenzen des Liberalismus: Selbst der edelste, stärkste, moralisch integerste Außenseiter wird zum Problem, wenn das System seinen Platz nicht kennt. Superman ist nicht das Ideal – er ist der Testfall.
Hoffnung als Erschöpfung – Kritik am liberalen Heroismus
Gunns Superman bleibt ein Einzelner. Ein Guter. Ein Symbol. Doch genau darin liegt das Problem: Der Film feiert Diversität, streift Systemkritik – doch letztlich bleibt alles beim Alten. Die Befreiung kommt von oben. Vom Individuum. Vom Helden mit Cape.
Das ist die liberale Lösung in neoliberaler Krise: Symbolpolitik statt Strukturwandel. Hoffnung statt Machtkritik. Der Superheld als Placebo für kollektives Versagen. Gunn stellt Fragen – aber gibt keine Antworten, die über das Narrativ der Erlösung hinausgehen.
Superman rettet. Aber er verändert nicht. Nicht das System. Nicht die Gesellschaft. Nur den Moment.
Warum der Kapitalismus Superhelden braucht
Superheldengeschichten sind keine Eskapismus-Phänomene. Sie sind ideologische Maschinen. Sie personalisieren Probleme, externalisieren Verantwortung und ersetzen Klassenkampf durch Einzelschicksale. In einer Welt der Ungleichheit erzählen sie vom moralischen Mut des Einzelnen – nicht vom kollektiven Widerstand der Vielen.
Gunns Film ist darin keine Ausnahme – aber er markiert einen Bruch. Er deutet an, was wäre, wenn der Held nicht mehr ausreicht. Wenn das Vertrauen in das Gute im Menschen erschöpft ist. Wenn Erlösung keine Option mehr ist. Und doch bleibt er in der alten Form: Der Mythos bleibt intakt. Nur mit migrantischer Fußnote.
Ästhetik der Hoffnung – Technik, Tempo, Täuschung
Gunn inszeniert mit viel Gespür für das visuelle Erbe der Comics. Farben, Bewegungen, Schnitte – alles atmet das silberne Zeitalter: farbenfroh, überzeichnet, rhythmisch. Die Actionszenen sind kinetisch und elegant, die Kamerafahrten fließend. Wenn Superman fliegt, fliegt das Publikum mit.
Und doch ist die Technik kein Selbstzweck. In der Darstellung von Krypto etwa – halb realer Hund, halb digitales Wesen – zeigt sich, was heute möglich ist: Emotion durch Animation. Präsenz durch Präzision. Gunn gelingt es, digitale Effekte nicht zum Selbstzweck verkommen zu lassen, sondern sie in den Erzählrhythmus einzubetten.
Doch auch hier: Die Ästhetik veredelt. Das Leid wird schön. Die Gewalt stilisiert. Die Ungleichheit abstrahiert. Es bleibt Spektakel – und damit Entlastung.
Was bleibt?
Superman (2025) ist kein revolutionärer Film. Aber er ist ein irritierender. Er öffnet Fenster, wo andere Türen schließen. Er macht den Mythos durchlässig – aber nicht obsolet. Er zeigt die Fragilität des Heldenbilds – ohne es zu zerstören.
Für Linke, für Bewegte, für Analytiker:innen ist dieser Film nicht bloß Unterhaltung. Er ist eine Quelle. Ein Material. Ein Seismograph. Und vielleicht ein Anstoß.
Denn solange der Retter fliegt, bleiben die Strukturen bestehen. Und solange das System Helden braucht, produziert es weiter Verlierer.
(c) Kritik & Praxis – Verstehen. Hinterfragen. Verändern.
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